Montag, 2. November 2009

Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus

David Kertzer: Die Päpste gegen die Juden
Der Vatikan und die Entstehung des modernen Antisemitismus, Berlin (Propyläen Verlag) 2001.



Die Studie von David Kertzer weist nach, dass der Antisemitismus (und Antijudaismus) eine starke Wurzel im Christentum hat. Diese wurde in der Neuzeit keinesfalls abgeschnitten.
Seit 1880 setzte eine nicht abreißende antijüdische Hetze im "Civilta Cattolica" und "Osservatore Romano" (beide von Jesuiten redigiert) ein. Alle Päpste, besonders Leo XIII. (1878 - 1903) segneten die antisemitische Publizistik in Büchern und Broschüren ab. Der Vatikan unterstützte offen schlimmste Gerüchte über die Juden, so z.B. die Behauptung, sie würden für das Passah-Brot das Blut grausam gemordeter christlicher Kinder verwenden.

http://www.gavagai.de/gg/HHD0902A.htm


Während im übrigen West- und Mitteleuropa auch in der folgenden Epoche der Restauration die Judenemanzipation irreversibel blieb, ließ Papst Pius VII. (1800-1823) trotz Einwände seines Kardinalsstaatssekretärs Consalvi das Ghetto in der Stadt Rom erneut einrichten, verwies jüdische Studenten von den Universitäten und hielt es für seine Pflicht, "die Juden als für den Mord an Christus zu ewiger Buße Verdammte zu behandeln" (S. 51).

[...]

Der Papst hingegen verurteilte in seinem Antwortschreiben erneut die moderne Gleichheitsidee und pochte weiterhin energisch auf die "Trennung von Christen und Juden" zur "Bewahrung der christlichen Religion und Moralität", bezeichnet schmähend die "Juden als ein Volk von Gottesmördern, Lästerern Christi und geschworenen Feinden der Christenheit" [...] Die Sonderregelungen für Juden begründete der Papst schließlich mit dem "Fanatismus" der Juden und mit ihrem "Hass auf die Religion Christi" und ihren "Schmähungen des Namens Christi" (S. 111).

http://www.phil.uni-sb.de/projekte/imprimatur/2002/imp020205.html


Weitere im Artikel genannte Vorwürfe durch Papst und Vatikan:

- Juden seien Ungläubige
- „Satans Synagoge” sei verantwortlich für den Krieg gegen die kath. Kirche, und für die leidige Aufklärung und den Liberalismus
- Gerüchten, Juden würden Ritualmorde betreiben, wird stillschweigend Vorschub geleistet
- es gäbe eine jüdische Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft
- der Talmud verlange von den Juden, Christen zu betrügen und sogar zu ermorden
- Juden seien Verursacher von Pogromen gegen sich selbst, um Mitleid zu erzeugen (!)
- es gäbe eine „guten” Antisemitismus als natürliche Reaktion auf jüdische Vorherrschaft

Civilta cattolica:
"dieses fremde Volk, wenn es zu viel Freiheit erhält, sofort zum Verfolger, Unterdrücker, Tyrannen, Dieb und Zerstörer der Länder" werde, in denen es lebe

„Diebe, Lügner, Ignoranten, Pestbeulen und die Plage aller in Nah und Fern ... sind nicht nur aufgrund ihrer Religion Juden ... sie sind Juden auch und besonders aufgrund ihrer Rasse”

Die Juden, so war in der Civiltà cattolica in den 90er Jahren zu lesen, hätten "eine zügellose Kampagne des Wuchers, der Monopolisierung und des Diebstahls" begonnen zur "Vernichtung des Christentums" und zur "Unterminierung der christlichen Nation", letztlich, um ihre eigene Herrschaft "vorzubereiten, die der Talmud ihnen ... verheißen hat"

[...]

Bis auf die "Schwelle zum Holocaust" setzte die Kirche ihre Identifikation mit dem "modernen" Antisemitismus fort (S. 350), rezipierte in ihren Presseorganen auch die sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion", ein Pamphlet, das den Juden Weltherrschaftspläne unterstellte, differenzierte weiterhin einen erlaubten von einem nicht erlaubten Antisemitismus, ohne jedoch dafür je genauere Grenzen zu ziehen, brachte Sozialismus und Kommunismus mit dem Judentum in Verbindung und erkannte daher im italienischen, spanischen und deutschen Faschismus ein Bollwerk gegen den vom Judentum infizierten Bolschewismus.

Die Päpste des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts haben, so das eindeutige und unanfechtbare Resumee von David I. Kertzer, "den Aufstieg des modernen Antisemitismus" gefördert (S. 29). Dieser formierte schließlich die ideologische Grundlage für den eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und damit auch für den Holocaust, zu dem, und das bleibt weiter ein ungeheuerliches Ärgernis, die katholische Kirche weitgehend und der Papst ganz und gar geschwiegen haben. Die Motive dafür hat David I. Kertzer mit seiner überzeugenden Studie verständlich gemacht und nahe gelegt: Sie resultieren aus der engen Verwandtschaft des katholischen und des modernen Antisemitismus.

http://www.phil.uni-sb.de/projekte/imprimatur/2002/imp020205.html

Ergänzender Einschub zur Illustration:


Abb. aus „Der Giftpilz” – antijüdisches NS-Kinderbuch (herausgegeben 1938 vom Stürmer-Verlag des Julius Streicher)

Civilta cattolica, 1880:
„Oh, wie sehr täuschen sich jene, die meinen, das Judentum sei nur eine Religion wie Katholizismus oder Protestantismus, und nicht vielmehr ein Volk und eine Rasse!”

Civilta cattolica, 1887:
„Der Jude bleibt immer und unabänderlich ein Jude. Er gründet nicht in dem Boden, auf dem er geboren ist, noch in der Sprache, die er spricht, sondern in seinem Samen.”

Civilta cattolica, 1893:
„Die Juden arbeiten nicht, sondern wachsen und gedeihen im Glanze des Fleißes der Nationen, die ihnen Zuflucht geben. Sie sind ein riesiger Krake, der mit seinen übergroßen Tentakeln alles ergreift. Ihr Bauch sind die Banken, und ihre Saugnäpfe sind überall: in Kreditvereinen und Monopolen, in Schifffahrt und Eisenbahnen, in den Stadtsäckeln und Staatsfinanzen.”

Achille Ratti (späterer Pius XI), 1918:
„Eine der übelsten und stärksten Kräfte, vielleicht die übelste und stärkste überhaupt, sind die Juden.”

Civilta cattolica, 1922:
„Die Welt ist krank. Und schuld ist die Synagoge!"

Civilta cattolica, 1936:
„Die Juden sind einzig und allein mit den Eigenschaften von Parasiten und Zerstören versehen.”

Civilta cattolica, 1937:
„Das Judentum ist ein Fremdkörper, ein Entzündungsherd, der eliminiert werden muss."

http://www.bestsellerfressen.de/r1-ak97.html



Der Vollständigkeit halber sei hier noch eine Gegendarstellung aufgeführt:

"Civilta Cattolica" wehrt sich gegen Antisemitismus-Vorwurf
http://religion.orf.at/projekt02/news/0202/ne020206_civilta_fr.htm